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In unserer Interviewreihe „Civic Coding im Gespräch“ werfen wir einen Blick hinter die Kulissen von gemeinwohlorientierten KI-Projekten. Projektteams geben Einblicke in ihre Arbeit und teilen Herausforderungen, Learnings und Erfolge. Im zweiten Interview der Reihe sprechen wir mit Angela Berger über CariFIX. In ihrer Tätigkeit für den Verband Caritas begleitet sie seit rund 6,5 Jahren Prozesse rund um Digitalisierung und Innovation mit Fokus auf Organisations- und Personalentwicklung in den Strukturen von Verband, Wohlfahrt und Sozialstaat.
An vielen Stellen in wohlfahrtsstaatlichen Institutionen wie der Caritas werden Daten erhoben und weitergeleitet, die dann aber nicht sinnvoll weiterverwertet werden. CariFIX setzt hier an, indem mit Hilfe dieser Daten in alltäglichen Beratungssituationen, in denen Berater*innen eine konkrete Frage ausgemacht haben, zu der sie Expertise benötigen, unterstützt wird. Das System bringt genau jene miteinander in Kontakt, die die Expertise suchen und jene, die sie bieten – ohne größeren Mehraufwand für Profilpflege und Forenbedienung. Aktuell handelt es sich bei der KI-Anwendung um einen Prototyp.
Weitere Infos zu CariFIX findest du auch in unserer Projektlandkarte.
Das Primärziel im Projekt ist, die Vernetzung zwischen hunderten beziehungsweise tausenden Sozialberatungen im Caritasverband zu vereinfachen. Das Sekundärziel ist, zu explorieren, was wir aus unseren Daten noch Sinnvolles machen können. Ein weiteres Ziel ist es auch, die Aufmerksamkeit und Kompetenz innerhalb des Verbands für dieses Thema zu steigern und zu verbessern.
Was uns die Sozialberater*innen immer wieder berichtet haben ist, dass sie zu wenig Zeit haben, um wirklich mit den Klient*innen zu arbeiten. Das liegt daran, dass sie viele Dingen drumherum zu tun haben, unter anderem aufwändige Recherchen zu den Fragen, die ihnen in der Beratung gestellt werden. Dieser Prozess der Informationsbeschaffung soll vereinfacht werden. Die Überlegung ist: Wenn Berater*innen eine Frage aufgrund mangelnder Informationen beziehungsweise Erfahrungen nicht direkt beantworten können, könnten andere Sozialberater*innen unterstützen. Diesen Wissenstransfer wollen wir ermöglichen, auch über die Fachgrenzen hinweg.
Wir haben bei CariFIX an drei Stellen datenbasierte Lernsysteme eingebaut: Das eine ist der Punkt, an dem die Berater*innen ihre Frage in die Anwendung eingeben. Die Frage wird analysiert und nach Schlagworten durchsucht. Dabei unterstützt ein Sprachmodell, das aus natürlicher Sprache Schlagworte generiert. Der zweite Punkt, an dem lernende Systeme zum Einsatz kommen, ist, wenn die vorhandenen Expertiseprofile mit den Schlagworten verbunden werden. Über einen Knowledge-Graphen werden Verbindungen zwischen den Schlagworten aus den Anfragen und den Expertiseprofilen hergestellt. Dann wird eine Wahrscheinlichkeit berechnet, mit der eine Person eine eingegebene Frage beantworten kann. Der dritte und letzte Punkt sind die Lernschleifen, die die Ergebnisse der Anwendung aufgrund der Rückmeldungen von den Nutzer*innen verbessern.
Wir haben auf den technischen, organisatorischen und strukturellen Bedingungen aufgebaut, die schon im Verband vorhanden waren. Das System, das wir aufbauen, sollte die existierenden Bedingungen aufgreifen. Denn ein Änderungs- oder Zentralisierungsprozess innerhalb eines so großen Wohlfahrtsverbandes dauert immer sehr lange und führt auch nicht immer zu den gewünschten Erfolgen. In den Beratungsstellen des Verbandes werden jedoch sehr unterschiedliche System eingesetzt, daher wollten wir nicht am Dokumentationssystem ansetzen. Stattdessen wird ein standardisierter Export aus diesen Dokumentationssystemen bei uns in CariFIX hochgeladen wird. Die Transformation der Daten im Browsertool erfolgt lokal, sodass die Expertiseprofile ohne zentrale Verarbeitung von personenbezogenen Daten entstehen. Wir haben das zunächst mit zwei Softwaresystemen erprobt, die am häufigsten in der Migrationsberatung für erwachsene Zuwanderer*innen (MBE) eingesetzt werden. Es handelt sich um ein deutschlandweites Förderprogramm, bei dem alle Beratungen die gleichen Dokumentationsanforderungen erfüllen müssen. Das ist nicht bei allen Programmen so. Oft ist die Dokumentationsweise sehr unterschiedlich.
Die Nutzer*innen werden an verschiedenen Stellen danach gefragt, ob sie die KI-Anwendung und deren Antworten hilfreich finden. Zum Beispiel werden ihnen mehrere Personen nach Eingaben ihrer Frage vorgeschlagen, die ihnen bei der Beantwortung ihrer Frage helfen könnten. Zu den Personen werden einige zusätzlichen Informationen bereitgestellt. Die Nutzer*innen wählen dann eine dieser Personen aus und die Anwendung kann von dieser Auswahl erste Rückschlüsse ziehen. Außerdem können die Nutzer*innen, die die Anfragen erhalten, bewerten, ob die Anfrage bei ihnen richtig gelandet ist. Der dritte Punkt ist, wenn die Antwort vorliegt. Dann kann entschieden werden, ob diese Antwort weiterhilft. Die Erfahrung zeigt uns, dass es für die Nutzer*innen schwierig gewesen ist, zu unterscheiden, ob sie die Antwort ihres Gegenübers bewerten, oder die Vermittlung der Maschine. Niemand wollte gerne die Antwort bewerten.
Zu Beginn haben wir eine Nutzer*innenstudie durchgeführt, bei der wir mit Berater*innen gesprochen haben. Zusätzlich haben wir unsere Datenbestände und Infrastrukturen innerhalb des Verbandes geprüft, um einen ersten Überblick zu erhalten. Unser Anspruch war es ja, mit den Daten zu arbeiten, die schon vorhanden sind und nicht noch neue Daten zu generieren – es ist gar nicht so einfach, vorhandene Daten und bestehende Bedarfe zusammenzubringen. Es sind aber eine Menge Erkenntnisse zusammengekommen. Wir haben beispielsweise früh festgelegt, dass wir keinen Chatbot für den direkten Klient*innen-Kontakt anvisieren. Die Berater*innen gaben an, dass Klient*innen selten wissen, was konkret ihr Anliegen ist, und die Lösung am Ende oft eine andere ist als gedacht. Zudem kommen diese Menschen vor allem in Notlagen zu uns und da wollen wir ihnen gerne ein menschliches, „warmes“ Gegenüber bieten. Eine weitere Erkenntnis, weshalb wir den Fokus auf den Bereich Wissensmanagement gelegt haben, ist die Tatsache, dass bei der Caritas das meiste Fachwissen in den Köpfen und den Outlook-Postfächern der Berater*innen steckt und nicht zentral niedergeschrieben ist. Und daher sollte es bei CariFIX möglich sein, Menschen miteinander zu vernetzen, anstatt schriftliches Wissen zur Verfügung zu stellen. Die anderen Anforderungen sind eigentlich klar: Datenschutz beachten, keine Menschen ersetzen oder über sie entscheiden lassen und keine Überwachung ermöglichen.
Es gibt noch keine sichere Finanzierung, die eine genauere Planung dazu ermöglicht, wie es mit dem CariFIX-Prototypen weitergeht. Außerdem haben wir aktuell verbandsintern die Prioritäten anders gesetzt. Aber uns ist, konzeptionell gesehen, völlig klar, dass das Ganze erst richtig Sinn macht, wenn viele Berater*innen sich beteiligen. Das hat dann auch weniger damit zu tun, welchem Verband sie angehören, als vielmehr damit, welche Profession sie ausüben. Daher sind wir froh über Kooperationen und offene Zusammenarbeit zu dem Thema.
Außerhalb von CariFIX stecken wir mitten in der Umsetzung des Infrastrukturprojektes CariData und wir sind auch am Civic Data Lab beteiligt (das Civic Data Lab ist ein gemeinsames Vorhaben der Gesellschaft für Informatik, CorrelAid und dem Deutschen Caritasverband – gefördert als Civic Coding-Ankerprojekt durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Anm. der Redaktion). Wir wollen gerne in diesem Feld weiter unterwegs sein und stellen uns dabei die spannende Frage, ob ein Dachverband einer Wohlfahrtsorganisation in der Zukunft digitale Produkte vertreiben wird, denn das ist bisher nicht in der Struktur angelegt. Wenn nicht wir, wer dann?
Ja, klar, aber ehrlich gesagt überhaupt nichts Aufregendes: Menschen vor Technologie, also gute Nutzer*innenforschung machen und dann auch möglichst – wie sagt man so schön – „technologieoffen“ sein. Mit der Prämisse „Wir wollen was mit KI machen“ in ein Projekt zu gehen, ist schon sehr einschränkend. Im Idealfall fragt man sich, was das Problem ist und welche der vielen verfügbaren Lösungen hier eingesetzt werden können. Und dann: Einfach mal machen! Möglichst viel ausprobieren.
Im ersten Interview der Reihe „Civic Coding im Gespräch“ haben wir mit dem Projektleiter Alexander Groddeck über das Projekt AI.CAN gesprochen. Das Modellprojekt ist ein deutsch-polnisch-tschechisches bürgerwissenschaftliches Netzwerk, das sich für Gewässerökologie und -qualität an der Oder einsetzt.
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