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Unter dem Titel „Projektdesign und Teamzusammenstellung – so setzt ihr das Fundament für euer gemeinwohlorientiertes KI-Projekt” gaben Expert*innen aus der Praxis im Rahmen unseres Civic Coding-Forums am 12.03.2024 Einblicke in ihre Projekte, teilten Erfahrungen und Tipps zum Thema und standen für Fragen zu Verfügung.
Über das Thema Projektdesign und Teamzusammenstellung tauschte sich Moderatorin Nora Zupan von der Civic Coding-Geschäftsstelle mit den folgenden beiden Expert*innen aus:
Melusine Reimers berichtete zunächst von der Gestaltung der Team- und Projektkonstellation während ihrer vielfältigen Gründungserfahrungen sowie den häufigsten Dos und Don‘ts. Sie selber hat zweimal gegründet, einmal mitgegründet sowie in diversen Start-ups mitgearbeitet und konnte dabei ganz unterschiedliche Ansätze und Strukturen kennenlernen.
Gründer*innen gab sie zunächst mit, dass sie schnell sehr viel Macht bekommen können – sowohl in ihrem Unternehmen selbst als auch in einem größeren gesellschaftlichen Rahmen durch den Einfluss des Produkts. Als Beispiel hierfür nannte Reimers die Online-Dating-App Tinder, die das Swipen als selbstverständliche Gewohnheit von Menschen etabliert hat.
„Gründer*innen können mit ihrem Produktdesign einen wahnsinnigen Einfluss nehmen - und ganz nebenbei die Gewohnheiten der Menschen beeinflussen.“
Melusine Reimers, Gründerin und Projektmanagerin beim Start-up Center WORLD FACTORY an der Ruhr-Universität Bochum
Foto: © Karsten Eichhorn
Reimers Einstieg in die Gründer*innenszene erfolgte über das Thema Social Entrepeneurship. Ihre erste Gründung fand 2013 im letzten Jahr ihres Philosophiestudiums statt und war ein „Ideen- und Experimentierraum”. Gemeinsam mit einer Kommilitonin gründete sie die NGO „academic experience Worldwide e. V.”. Der Verein unterstützt geflüchtete Akademiker*innen bei der Integration, ein Ziel war es, die Organisation ohne Hierarchien zwischen den Helfenden und den Geflüchteten zu gestalten. Das Projektdesign ist erst nachträglich entstanden, jedoch haben die Gründerinnen vor dem Hintergrund ihres Studiums Grundsätze für die Zusammenarbeit formuliert. Auf dieser Basis konnten sie im weiteren Verlauf aufbauen. „Unser Motto bei dieser Gründung war: Man lernt Laufen beim Fallen”, so Reimers. Innerhalb eines Jahres wuchs die NGO auf 60 Ehrenamtliche.
Im Vorfeld sollten Gründer*innen sich nach Reimers’ Erfahrung Fragen stellen wie: Warum machen wir das? Was wollen wir nicht machen? Was erwarten wir von Menschen, die bei uns mitarbeiten? Durch den studentischen Kontext war die Fluktuation im Verein sehr hoch, was eine neue Art der Führungskultur erforderte. Reimers und ihre Mitgründerin unternahmen erste Versuche eines holokratischen Managements. Bei diesem Modell werden Entscheidungen vereinfacht und dezentralisiert, indem sie nicht von Vorgesetzten getroffen werden, sondern von den Personen, die Verantwortung und Expertise für das jeweilige Thema mitbringen.
Die nächste Gründung, an der sie 2016 beteiligt war, hatte völlig andere Voraussetzungen und einen anderen Fokus. Als Produkt sollte eine Vertical Farm entwickelt werden, die komplett CO2-frei ist und keinerlei Wasser verbraucht. Hinter der ANJA GmbH & Co. KG standen zwei Hauptgründer*innen, einer von ihnen brachte bereits sehr viel Branchen-Erfahrung mit. Das Projekt wurde von Anfang an als Start-up designed.
Auch hier kam ein holokratischer Ansatz zur Anwendung. Dadurch bestand ein hohes Commitment der Mitarbeitenden sowie viel Raum, das umzusetzen, was ihnen im Projekt wichtig war und sich in bestimmten Themen weiterzuentwickeln. Holokratische Systeme zeichnen sich durch flachere Hierarchien aus, da sie nicht pyramidenförmig, sondern aus Kreisen aufgebaut sind, die untereinander vernetzt sind. Die Vorteile liegen für Reimers in der hohen Autonomie und stärkeren Flexibilität in der Zusammenarbeit auch bei hoher Fluktuation und unterschiedlichen Projektansätzen. Gleichzeitig sei großes Vertrauen notwendig. Grundsätzlich ist ihre Empfehlung, bei komplexen Management-Systemen, die für das eigene Projekt passenden und hilfreichen Aspekte herauszugreifen und andere wegzulassen.
Gemeinsam mit ihrem nächsten Mitgründer, einem Schreiner, entwickelte Reimers die Idee einer Sharing-Plattform für Möbel. Das Start-up READYMADE UG wurde 2017 in Köln gegründet. READYMADE war eher nach einem hierarchischen als nach einem komplett holokratischen System aufgebaut. Die Herausforderung in der Teamkonstellation: Reimers war mit dem Mitgründer in einer Partnerschaft. Rückblickend würde sie das nicht empfehlen – auch wenn es viele Vorteile mit sich bringe. Beispielsweise könne man sehr schnell und viele kreative Ideen gemeinsam entwickeln, da man viel Zeit miteinander verbringt. Allerdings habe man dadurch auch wenig Distanz und müsse die private Zeit als Paar klar davon abgrenzen. Außerdem sei es für andere Teammitglieder oft schwierig, Einfluss zu nehmen, da ein großes Vertrauen und eine gewisse „Verschworenheit” zwischen den liierten Personen bestehe. Wichtig sei, von Anfang an die rechtlichen Bedingungen zu klären und sich im Zweifel auch Beratung von außen zu holen, betonte Reimers.
Nach vier Jahren in der Gründungsberatung im Start-up Center WORLD FACTORY der Ruhr-Universität Bochum ist Melusine Reimers ab April 2024 wieder als Gründerin beim Projekt HoLa aktiv. HoLa ist ein über den EXIST-Forschungstransfer für wissenschaftliche Ausgründungen gefördertes Projekt. Das Start-up baut Laser in einer bestimmten Wellenlänge, die vor allem für Materialbearbeitung und in der Chipindustrie eingesetzt werden. Ursprünglich war es ein Forschungsprojekt am Lehrstuhl für Lasertechnologie der Ruhr-Universität. Ausgehend von zwei Wissenschaftler*innen des Lehrstuhls wurde ein Gründungsteam „gecastet”. Um die Voraussetzungen für das EXIST-Programm zu erfüllen, wurde es um zwei weitere Teammitglieder ergänzt, die betriebswirtschaftliche und ingenieurswissenschaftliche Kompetenzen abdeckten.
„Teamfindung ist ein bisschen wie Dating”, beschrieb Melusine Reimers ihr Kennenlernen mit dem Projektteam – in diesem Fall hat es gefunkt und sie übernahm den betriebswirtschaftlichen Part im Unternehmen.
Die Entwicklung von einem eher „feudal” aufgebauten Forschungsprojekt zu einem Start-up sei herausfordernd und erfordere die Entwicklung einer eigenen Struktur, Kommunikation und Führungskultur. Auch die Ausgewogenheit von Wissenschaftlichkeit und Pragmatismus sowie eine Komplementarität und Diversität im Team sei im Kontext wissensbasierter Gründungen entscheidend. „Es müssen nicht alle alles können. Man muss lernen, trotz unterschiedlicher Fachsprachen miteinander zu sprechen. Und nicht zu vergessen: Ohne Sympathie funktioniert es nicht”, machte Reimers deutlich.
Prof. Frank Haußer stellte das 2020 bis 2023 durchgeführte, unter anderem durch das BMUV geförderte Projekt „KInsecta” vor, das sich mit KI-basiertem Insektenmonitoring beschäftigte. Die Motivation hinter dem Projekt war das zunehmende Insektensterben. Im Gegensatz zum herkömmlichen Insektenmonitoring über Totfallen war das Ziel von KInsecta der Bau einer Lebendfalle, die automatisiert über sensorische Systeme Insekten zählen und erkennen kann. Als Open-Source-Tool sollte es frei verfügbar sein und unterschiedliche Akteur*innen der Zivilgesellschaft einbinden – sowohl technikinteressierte als auch naturschutzaffine Personen. Mit einer Hochschule, einem Verein für Umweltbildung und Personen aus der Zivilgesellschaft arbeiteten ganz unterschiedliche Organisationsstrukturen zusammen, was Chancen wie auch Herausforderungen mit sich brachte.
Das Team hat ein Multisensorsystem entwickelt, im Rahmen des Projekts wurde außerdem eine Community aufgebaut, die das Projekt partizipativ mitentwickelt und gemeinschaftlich am System gearbeitet hat. Dafür fanden Workshops statt, und es wurde eine Website sowie weitere Maßnahmen für Öffentlichkeitsarbeit umgesetzt.
Durch das interdisziplinäre Team arbeiteten Menschen unterschiedlicher Hintergründe und Fachrichtungen zusammen – von Expert*innen für Insekten und Biologie über Personen mit Kenntnissen in der Öffentlichkeitsarbeit bis zu technisch versierten Personen, die Expertise in den Bereichen Programmierung, KI sowie Sensorik und Elektrotechnik mitbrachten. Hier gab es viele Schnittstellen, aber auch ein gegenseitiges Verständnis war wichtig, um gemeinsam Lösungen entwickeln zu können.
Die schon von Melusine Reimers beschriebenen unterschiedlichen Fachsprachen stellten auch im KInsecta-Team eine Herausforderung dar. Deshalb betonte Prof. Haußer noch einmal die Bedeutung von Kommunikation und Arbeitstreffen – gerade am Anfang des Projekts.
„Wir hätten uns schon zu Beginn noch mehr Zeit nehmen müssen, um uns gegenseitig unsere Konzepte und Grundprobleme zu erklären.“
Prof. Frank Haußer, Projektteam KInsecta
Eine weitere Herausforderung des Projekts bestand in der gegenseitigen Abhängigkeit der einzelnen Gruppen von Teilergebnissen anderer Gruppen, schilderte Prof. Haußer. KI-Projekte seien auf gute Datengrundlagen angewiesen. Werden diese jedoch erst im Projekt selbst geschaffen, können sie oft nicht so schnell geliefert werden, wie sie bestimmte Teile des Projektteams benötigen. Daher sei von Anfang an eine gründliche und realistische Planung wichtig. Diese könne außerdem Frust im Projektverlauf ersparen, so Prof. Haußer.
Kommunikation im Projektteam ist das A und O – darüber waren Melusine Reimers und Prof. Frank Haußer sich einig. „Ich empfehle, regelmäßig Zeit-Slots in Meetings einzuplanen, die sich nicht mit konkreten Problemen beschäftigen, sondern in denen unterschiedliche Team-Mitglieder übergeordnet von ihren aktuellen Aufgaben und Leidenschaften berichten. Dadurch kann man sich im Projektteam auf persönlicher Ebene besser kennenlernen und mehr übereinander erfahren. Außerdem sollte man sich gegenseitig die Frage stellen: Was machst du am liebsten? Dabei kommen oft auch überraschende Antworten, die für die Zusammenarbeit sehr wertvoll sein können”, meinte Prof. Haußer.
Melusine Reimers hat außerdem gute Erfahrungen mit Persönlichkeitstests gemacht. Hilfreich können z. B. der 16 Personalities-oder der darauf basierende 13 Founders-Test sein, um sich im Team besser einschätzen zu können. Ein weiterer zentraler Aspekt für sie ist der Umgang mit Konflikten: „Konflikte sind wichtig und lassen sich nicht vermeiden, wenn man lösungsorientiert arbeitet. Deshalb ist es wichtig, zu lernen, wie man Konflikte richtig führt.”
Der abschließende Rat von Prof. Haußer für zukünftige Gründer*innen: „Nehmt euch Zeit - trotz Hektik und Zeitdruck im Projekt!”
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