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Im dritten Forum unserer Reihe „Ethischer Einsatz von KI: Theorie, Praxis und Learnings“ am 12.11.2024 ging es um Fehler und was wir daraus lernen können. Vertreter*innen gemeinwohlorientierter KI-Projekte gaben ehrliche Einblicke in ihre Erfahrungen, aus denen sich Strategien für die Arbeit an eigenen Projekten ableiten lassen. Im Fokus standen dabei weniger die Misserfolge, Fehler und Rückschläge, die sie im Rahmen ihrer Projekte erlebt haben. Sondern sie teilten vor allem ihre Learnings, die sie daraus gewonnen haben und zeigten, warum es sich lohnt, Risiken einzugehen, innovative Projekte anzustoßen und dranzubleiben.
Nora Zupan von der Civic Coding-Geschäftsstelle moderierte den virtuellen Austausch mit Beiträgen von:
Fehler und Misserfolge sind oft wichtige Lektionen auf dem Weg zum Erfolg – doch wie sieht eigentlich eine gute Fehlerkultur aus? Um diese Frage ging es zum Einstieg in die Diskussion und die Teilnehmer*innen des Forums konnten ihre Meinung dazu einbringen. Am häufigsten wurden dabei Begriffe wie Ehrlichkeit, Vertrauen und Transparenz genannt. Diese Aspekte fanden sich auch im weiteren Verlauf und den Erfahrungsberichten der Projekte wieder.
Über 70 Prozent der gehörlosen Menschen sind auf die Kommunikation in Gebärdensprache angewiesen, da sie Inhalte in Textsprache nicht lesen und verstehen können. Um die digitale Barrierefreiheit für gehörlose Menschen zu unterstützen, widmet sich Alexander Stricker, der mit der Charamel GmbH seit über 20 Jahren 3D-Software für den Einsatz digitaler Avatare entwickelt, einer Technologie zur Übersetzung von Gebärdensprache. Sowohl das erste von ihm geleitete Projekt (AVASAG) als auch das seit 2023 laufende Vorhaben (BIGEKO) sind vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Grundlagenforschungsprojekte.
Auf Grundlage der Forschungsergebnisse entwickelten Stricker und sein Team mit dem „Kommunalen Gebärdensprach-Avatar“ die erste Produktlösung. Mittlerweile ist der Avatar ein lizenzierbares Produkt und wurde mit dem Digital Media Award 2024 in der Kategorie „Digitale Innovation“ ausgezeichnet.
Doch auf dem Weg zu diesen Erfolgen waren einige Hürden zu meistern und Stricker berichtete von Fehlern, die in den Projekten passiert sind.
Besonders die Maßnahmen aufgrund der Corona-Pandemie zu Beginn des Vorhabens erschwerte die Arbeit erheblich. Der Wegfall von Präsenzmeetings stellte das Team vor neue Herausforderungen, da viele gehörlose Menschen Online-Meetings aufgrund von Verständnisschwierigkeiten oft vermeiden. Hinzu kamen technische Barrieren und der hohe Koordinationsaufwand in der Kommunikation. Projektintern war die Zusammenarbeit eines heterogenen Teams aus hörenden und gehörlosen Mitarbeitenden sowie Expert*innen verschiedener Disziplinen und mit vielfältigen Hintergründen herausfordernd. Unterschiedliche Wissensstände und Erwartungshaltungen an die Qualität des Projekts führten zu Spannungen. Der technologische Anspruch, Gebärdensprache mit ihrer ganz eigenen Grammatik in digitale Form zu übersetzen, die damit verbundene Erarbeitung von neuen Daten und Entwicklung neuer Sprachmodelle stellten weitere große Herausforderungen dar. Auch das fehlende Hintergrundwissen zur Gehörlosen-Kultur war eine Schwierigkeit und machte zunächst einen Vertrauensaufbau in der Community notwendig.
Darüber hinaus stieß das Projekt in der Öffentlichkeit teilweise auf Bedenken. Einige Gehörlosenverbände und politische Akteur*innen standen Gebärdensprach-Avataren aufgrund einer anderen Erwartungshaltung kritisch gegenüber und veröffentlichten entsprechende Stellungnahmen. „Hier haben wir nicht genügend kommuniziert, wie die Forschung grundsätzlich funktioniert, dass wir immer iterativ arbeiten und die Qualität optimieren“, so Stricker. Eine verstärkte Einbindung der Gehörlosen-Community und von gehörlosen Mitarbeiter*innen sowie eine transparentere Kommunikation und ein kontinuierlicher Austausch mit der Zielgruppe waren die Learnings daraus, die zum Erfolg des Projekts führten.
In der Zusammenarbeit mit Menschen mit Beeinträchtigungen sieht Stricker eine große Chance für die KI-Entwicklung, da sich hier großes kreatives Potenzial entfalte.
„Lernen kennt keine Grenzen. Wir sollten die Potenziale nutzen, aus Fehlern zu lernen und versuchen, mit vielen unterschiedlichen Kulturen, Persönlichkeiten und unerkannten Stärken, Lösungen zu finden.“
Alexander Stricker, Gründer und Geschäftsführer der Charamel GmbH
Die Informatikerin und Klangkünstlerin Peggy Sylopp gründete 2022 das Unternehmen sincEARe UG, das auf innovative Lösungen und KI-Technologien für besseres Hören und Kommunizieren spezialisiert ist. Sie ist selbst seit 2016 von einem moderaten Hörverlust betroffen und schilderte, dass sie wie viele Menschen mit einer Höreinschränkung lange gebraucht habe, um diese zu akzeptieren. Schließlich hat sie sich für ein Hörgerät entschieden, mit dem sie aber unzufrieden war – eine Erfahrung, die sie ebenfalls mit vielen Betroffenen teilt. „Die Hälfte der Menschen mit Hörverlust tragen überhaupt keine Hörgeräte und viele Geräte landen in der Schublade“, so Sylopp. Daraus entstand die Idee, eine eigene kreative Lösung zu entwickeln. Auf ihrem Weg hat Sylopp schon viele „Fail-Situationen“ erlebt, die sie aber stets weitergebracht haben.
„Auch wenn ich oft das Gefühl hatte, in einer Falle zu stecken, war die grundsätzliche Erfahrung, dass es immer weiterging und sich hinter jedem Fail eine neue Tür öffnete.“
Peggy Sylopp, CEO der sincEARe UG
In ihrem Projekt „Hear how you like to hear”, das sie von 2017 bis 2021 am Fraunhofer IDMT in Oldenburg gemeinsam mit Studierenden durchführte, beschäftigte Sylopp sich mit der Entwicklung individueller Hörhilfen. Dafür nutzte sie Open-Source-Hörgeräte-Algorithmen, die auf ein Raspberry Pi gespielt wurden, um personalisierte Klangprofile zu erstellen. Bei Soundwalks durch Berlin stellten die Mitglieder des Teams ihre Hörpräferenzen in verschiedenen akustischen Umgebungen ein. Die Daten aus den Analysen zeigten, dass jeder Mensch sein Klangprofil individuell anpasst. Diese Erkenntnis bestätigte Sylopp in ihrem Ansatz, für die jeweilige Person maßgeschneiderte Hörhilfen zu entwickeln, statt standardisierte Lösungen einzusetzen.
Auch wenn ihre Kolleginnen am Institut ihre Methode nicht als wissenschaftlich anerkannten, da sie nicht reproduzierbar sei, hat sie die Idee weiterverfolgt. Gemeinsam mit einem Freund entwickelte sie einen Algorithmus, der die individuellen Klangeinstellungen vorhersagen kann. Daraus entstand ein patentiertes Verfahren und der Grundstein ihres Unternehmens sincEARe war gelegt. Mit ihrem Team arbeitet sie an einer stabilen wissenschaftlichen und technischen Basis für ihr Experiment. Ziel ist es, die Innovation der KI-gestützten personalisierten Hörsysteme auf den Markt zu bringen – beispielsweise mit einer App, die sie aktuell entwickeln.
Sylopp hob hervor, dass sie ohne die anfänglichen Erfahrungen und Schwierigkeiten jetzt nicht an dem Punkt stehen würde, den sie erreicht hat: „Jede Erkenntnis ist ein Fortschritt und birgt neue Möglichkeiten in sich. Deshalb sind Optimismus und die Bereitschaft, sich gefühlte Fails und die Lehren daraus anzuschauen, ein besonderer Schatz.“ Besonders wichtig auf diesem Weg war für sie, offen mit ihrer Höreinschränkung und den damit einhergehenden Bedürfnissen umzugehen und so einer Stigmatisierung entgegenzuwirken. Zudem betonte sie die Bedeutung, Probleme oder Misserfolge im Team rechtzeitig und transparent zu kommunizieren, um darauf reagieren und das Vorgehen ändern zu können.
Ihre eigenen Erfahrungen in der Kommunalpolitik bewegten Gregor Dehmel und seine Frau dazu, Jugendbeteiligung und politische Bildung spielerischer zu gestalten. Beteiligung von Kindern und Jugendlichen sollte aus ihrer Sicht auf Augenhöhe stattfinden und zu konkreten Ergebnissen für die Kommunen führen. Deshalb haben sie den Verein „Politik zum Anfassen e. V.“ gegründet. Mit digitalen Angeboten wie der Mitrede-App PLACEm, aber vor allem durch Planspiele wie „Pimp your Town“ möchten sie Kindern und Jugendlichen Spaß an Politik und Beteiligung an demokratischen Prozessen vermitteln.
Um die zahlreichen Ideen aus den Planspielen, die in vielen Datensilos verstreut waren, an einem Ort zu sammeln, planten sie den Aufbau einer Datenbank. Bis zur Umsetzung dieser Idee war es allerdings ein langer Weg mit vielen Hindernissen und Rückschlägen: Ihr Förderantrag wurde zunächst abgelehnt, doch die Bachelorarbeit eines studentischen Praktikanten zu „Pimp your Town“ brachte das Projekt wieder ins Rollen. Beim Digital Social Summit kam Gregor Dehmel schließlich in Kontakt mit dem Civic Data Lab (CDL) und der Initiative Civic Coding. Die Teilnahme am Civic Coding-InnovationCamp im Februar 2024 brachte allerdings auch nicht den gewünschten Erfolg, da das Projekt am Ende nicht zu den prämierten Ideen gehörte. Ein Grund: Bei Dehmels Vorhaben handelte es sich eher um ein Daten- als um ein KI-Projekt. Dadurch lernte er den Begriff „KI-Washing“ kennen – eine Fördermittelstrategie, die auch auf sein Projekt zutraf und bei der KI oft als Schlagwort genutzt wird, obwohl es eigentlich ein Daten- oder IT-Projekt mit einem KI-Anteil ist. Er zog seine Schlüsse daraus und besuchte er die Datensprechstunde des CDL. Dort erhielt er umfassende Unterstützung von der Antragstellung über die Ausschreibung bis zum finalen Produkt: die Plattform Kommuki, auf der heute 7.000 Ideen von Schüler*innen zu finden sind. In einem Open-Data-Bereich können außerdem die offenen Daten heruntergeladen werden. Ein KI-Chatbot hat Zugriff auf die Daten und ermöglicht einen Austausch rund um das Thema (Jugend-)Beteiligung. Besonders beeindruckt hat Dehmel während des Prozesses die Offenheit und Hilfebereitschaft der Daten- und Coding-Community, die ihm letztendlich ermöglichte, seine Idee zu verwirklichen.
Dehmel hat mit seinem Team nicht nur jahrelang Angebote für und mit Kindern unterschiedlicher Altersstufen umgesetzt, sondern ist auch überzeugt, dass wir vieles daraus mitnehmen können, wie Kinder mit Fehlern umgehen: Wenn sie scheitern, „wischen sie es einfach weg” und machen immer wieder weiter.
„Kinder haben eine riesengroße Fehlertoleranz und Penetranz im Dranbleiben. Erwachsene denken zu viel darüber nach, während Kinder etwas so lange versuchen, bis sie es können. Das kann man von Kindern lernen.“
Gregor Dehmel, Gründer von Politik zum Anfassen e. V.
Abschließend wurde noch einmal die Frage nach einer gesunden Fehlerkultur aufgegriffen. Alexander Stricker resümierte: „Fehler gehören immer zum Lernen und Erfolg dazu. Wichtig ist, sie gut zu analysieren, um daraus zu lernen und Prozesse zu optimieren.” Peggy Sylopp ergänzte, dass sie den Begriff des Scheiterns gern abschaffen und stattdessen von Erfahrung sprechen würde. „Es entsteht keine Balance und keine Stabilität, wenn ich nicht die Grenzen davon gesehen habe, was geht und was nicht geht, und was das für mich bedeutet.” Aus ihrer Sicht gehe es dabei gar nicht in erster Linie um die Analyse des Fehlers, sondern zunächst darum, die Situation anzunehmen und als Chance zu begreifen. Bei großer Frustration könne auch eine Erholungspause helfen, um neue Motivation zu schöpfen. Sie habe auch gelernt, nicht immer spontan auf alles reagieren zu müssen. Eine wichtige Erkenntnis für Gregor Dehmel war außerdem, Lernkurven von anderen zu akzeptieren, sie zu ermutigen, eigene Erfahrungen zu sammeln, ohne ihnen zu viel aus dem eigenen Erfahrungsschatz vorzugeben. Die Expert*innen waren sich einig: Am wichtigsten ist es, trotz Fehlern und Misserfolgen nicht aufzugeben, sondern nach vorn zu schauen, positive Aspekte daraus mitzunehmen, weiterzumachen und das Team zu motivieren.
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